Die Macht der Authentizität

Warum schreibt ein Tech-Blog über Authentizität?

Über 2 Jahrzehnte beschäftige ich mich mit dem Thema, wie Organisationen effizienter werden können. IT und Prozessmanagement waren die Mittel meiner Wahl. Mittlerweile macht sich nicht nur bei mir Ernüchterung breit. Nur c.a. 5% der Schweizer CEO’s sind wirklich zufrieden mit der Umsetzung ihrer digitalen Projekte. Man könnte meinen, dass dies an der Komplexität der Technik liegt. Dies ist aber nur in Einzelfällen der Grund. Der Hauptgrund ist, dass wir nicht ganzheitlich und “von oben” an die Sache herangehen. Es ist besser uns Zeit zu nehmen und eine langfristige z.B. TOGAF-gestützte Gesamtstrategie zu entwickeln. Es ist aber noch wichtiger, unsere eigenen Defekte im Gesamtsystem sehen zu lernen.

“Wir müssen lernen immer das Gesamtsystem im Blick zu halten!

Und dazu gehört der Mensch selbst!”

Jeroen Loosli

Was heisst das?

Dies heisst (a) das Implementierungen immer in Harmonie mit der definierten Gesamtstrategie gemacht werden müssen, die folgende Themen orchestriert:

  • Prozesse
  • Daten
  • Produkte
  • Menschen
  • Technologien

Ein Gesamtplan reduziert die Gesamtkomplexität und schult uns in Systemdenken. Ein Gesamtplan unterstellt Entscheide einer Governance. Die Gesamtstrategie gibt Übersicht zu den Teilstrategien, wie z.B. einer Datenstrategie.
Wegen der fehlenden Datenstrategie stellt sich unsere Realität beispielsweise oft so dar: Die Datenlage im Unternehmen ist so fragmentiert, dass die Konsolidierung notdürftig, zeitintensiv und fehlerbehaftet umgesetzt wird. Führungspersonen treffen (oft zwangsweise), trotz dieses Wissens, darauf Entscheidungen. Neben dieser Gefahr von Fehlentscheiden, fehlen auch wertvolle Informationen, z.B. zum Kunden. Man schafft es nicht alle Daten konsolidieren. Die Informationslücken, die IT Fragmentierung und der Verlust an Responsiveness ist zu teuer, um sich keinen solchen Plan mehr zu leisten!

Die Hauptursache ist aber, (b) dass wir als IT Partner nur Fragmente des Problems präsentiert bekommen, weil unser Kunde das Gesamtproblem selbst nicht sehen kann.  Warum dies so ist, ist Teil dieses Artikels. Ein Lösung aus dieser Problematik ist keine technische, sondern eine kulturelle: Die Schaffung einer Kultur der Authentizität!

Die Maskierten

“Hier bin ich Arbeiter, hier darf ich tun“

In den meisten Organisationen lässt ein Mitarbeiter leider immer noch einen wertvollen Teil seiner selbst hinter sich, wenn er am Morgen die Firma betritt!

Nun ist er ein Mensch hinter einer Maske, mit einer Berufsbezeichnung, einer Rolle oder einer Funktion. Kommuniziert wird strategisch. Man will sich nicht exponieren. Man denkt ständig darüber nach, was andere darüber denken würden, wenn man Dieses oder Jenes sagen würde. Das Ego ist hochaktiv und verbraucht Energie, welche für andere Interventionen nicht mehr zur Verfügung steht. Wenn man etwas sagt, dann mit einer Absicht dahinter, z.B. zu Gewinnen, oder in Deckung bleiben zu können, oder seine Reich zu verteidigen. Das Ansprechen von Problemen wird zum Hindernislauf, v.a. wenn der Vorgesetzte eine andere Meinung vertritt. Die Konsequenz einer solchen Kultur resultiert in einen Mangel an Vertrauen untereinander.
Die Konsequenz davon ist wiederum:

1. Die Akkumulation und Verschleppung von ungelösten Problemen (“Wucherungen”)

2. Gewisse Probleme, und darum die Dimension des Gesamtproblems, bleiben dem organisatorischen Auge verborgen (“Unbewusstheit”)

Gift für die Organisation!

Eine Organisation gleicht in Wirklichkeit eher einem lebenden Organismus, wie einem technischen System. Stell dir mal vor, deine Zellen deines Körpers vertrauen sich nicht mehr und tauschen nur noch stark zensiert Informationen aus. Was meinst du wie lange du gesund und agil bleiben kannst? Ein „Mangel an Vertrauen“ zwischen deinen Zellen führt unabdingbar zu einer Entartung deiner Zellen. Diese führen ihre Arbeit nicht mehr im Sinne des Ganzen aus. Fehlinformationen führen zu Wucherungen. Diese bleiben solange unbewusst, bis es zu groben Funktionsstörungen kommt; mit möglichem Tod als Konsequenz.

Warum Authentizität der richtige Weg ist

„Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein“

Authentische Menschen sprechen offen darüber, was sie glauben, fühlen, denken und anstreben. Sie fordern einen intimeren Umgang unter Menschen. Solche Menschen zeigen offen und mutig ihre Verletzlichkeit. Als „Krieger“ bezeichnet darum Chögyam Trungpa, ehemaliger buddhistischer Abt und Begründer der Naropa Universität, diese Menschen in seinem Buch „The Shambala Warrior“. Ihnen kommt höchsten Respekt zu, da diese die Macht der Heilung von Krisen in sich tragen. Brene Brown, Verhaltensforscherin und Professorin an der University of Houston hat festgestellt, dass authentische Menschen weniger Probleme mit Scham haben. Sie haben tatsächlich ein besseres Kooperationsvermögen, eine höhere Resilienz sowie mehr Lebensfreude. Alles Eigenschaften, die der Organisation zugutekommen!

“Meine größte Stärke erkenne ich in den Momenten, in welchen ich mutig genug bin, verletzlich zu sein.

Wenn ich aufhöre, mich zu verstecken, und leise Themen laut ausspreche.”

Michaela Walther

Authentizität in Organisationen ermöglicht ein tiefes Kennenlernen des Gegenübers. Authentische Teams kennen die Vorlieben und Problemstellung der anderen Personen, und können sich darauf einstellen. Probleme werden sofort und offen angesprochen. Erkrankt „eine Zelle“ der Organisation können sofort Massnahmen eingeleitet werden, bevor die Krankheit um sich greift.

Etabliert eine Führungsperson ein Umfeld des Respekts für alle Aspekte eines Menschen, ganz nach Faust „Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein“, gewinnt diese nicht nur natürliche Autorität, sondern v.a. auch Loyalität. Es entsteht eine Bindung, die nicht einfach zerbricht. Angestellte, die sich geschätzt fühlen, identifizieren sich eher mit ihrem Vorgesetzten und mit der Organisation. Mit hoher Wahrscheinlichkeit geht die Fluktuationsrate im Team zurück. Eine solche Kultur zieht nicht nur fähigere Mitarbeiter an, …für viele jüngere Menschen ist Diese mittlerweile eine Bedingung.

Viele Führungskräfte stehen einer solchen Kultur skeptisch gegenüber. Sie zweifeln vielleicht an ihrer eigenen Fähigkeit damit umzugehen, oder meinen dies führe zu Mehraufwänden bezüglich der eingesetzten Zeit. Tatsächlich benötigt eine solche Kultur mehr Aufmerksamkeit in der Kommunikation. Schon nur der Umstand, dass die Kommunikation effektiver wird (denke an den Metapher des Körpers weiter oben), führt aber zu weniger Krisen, einer Resonanz in den Beziehungen und einem schnelleren Lösen von, im Vergleich, kleineren Problemen.

Aus der Praxis

Ich mag mich an eine CEO erinnern, der ein festes Bild verankert hatte, dass sein Unternehmen sehr innovativ sei, und dies nicht die Begründung für die Probleme in der digitalen Transformation sein könne. Als trotzdem ein Mitarbeiter darauf bestand, dass dem nicht so sei, entstand eine spürbare Spannung im Raum. Alle anderen schwiegen. In den Einzelinterviews bot sich mir dann auch ein vielfältigeres Bild der Probleme. Mir wurde sofort klar, dass das Problem mit einer Kultur der unauthentischen Rede zu tun haben könnte. Die Organisationsforschung ordnet die Entwicklungsebene dieser Kultur auf der Ebene 2 (Feelgood based) von 5 (Service-based) ein, am meisten vorzufinden in behördlichen Organisationen oder Schulen. Kennzeichen dieser Kultur sind:

  • Der Wunsch, dazuzugehören und anderen zu gefallen
  • Das Bedürfnis Zustimmung zu bekommen
  • Das Bedürfnis nach der Gruppe (sich in der Gruppe verstecken können)
  • Der Realität nicht ins Auge sehen (so tun, als wäre alles gut)
  • Ein geringes Selbstwertgefühl
  • Unauthentisches Feedback
  • Ineffektive konsensbasierte Entscheidungsfindung
  • Viel Politik und Administration
  • Ineffektive Resultate

In Kurz: Eine Liste, die viel Einsparungspotential erkennen lässt!

“Bevor wir unsere Probleme in der digitalen Transformation effektiv lösen können,

müssen wir die Probleme unserer defekten sozialen Feldern angehen!”

Jeroen Loosli

Wie etabliere ich eine Kultur der Authentizität?

Klarheit gewinnen, dass dies der richtige Weg ist

Am Anfang kann es mehr Zeit und Aufmerksamkeit erfordern, aber es führt schon mittelfristig zu grossen Zeiteinsparungen. Menschen, die einander verstehen, erzeugen weniger Aufwand und ziehen am selben Strick. Passiert ein Fehler, steht man dazu. Die Zeit von Verurteilungs- und Verteidigungsreden lassen sich einsparen. Man kann nicht nur sofort auf den Fehler reagieren, sondern effektiv daraus lernen. Die Motivation bricht nicht ein. Alle bleiben dem gemeinsamen Ziel verpflichtet. Die Qualität und Geschwindigkeit der Entscheidungen steigt.

Workshop planen

Um eine Kultur der Authentizität zu erzeugen, eignet sich ein Workshop mit allen Betroffenen, geleitet durch eine neutrale, bestenfalls betriebsfremde (weil nicht betriebsblinde) Persönlichkeit. Noch besser ist es gleich unseren messbaren Prozess zum Human Potential zu implementieren, da dieser alle Aspekte des Personal Mastery der lernenden Organisation aufgreift.

Safe Room schaffen

Gestalte diesen Workshop als „Safe Room“, in der Forschung auch „Holding Environment“ bezeichnet (der Ursprung des Wortes kommt, von der Mutter die das Kind im Arm hält). In diesem Raum lege zu Beginn die Regeln fest, die alle brauchen, um offen und ehrlich Sprechen zu können. Beginne nun selbst authentisch zu sprechen und zu fragen. „Jeder Beitrag wird wertgeschätzt, die Teilnahme an Offenheit bleibt bis zum Schluss freiwillig.“

Sensibel kommunzieren

Bleibe sensibel. Achte darauf nicht in Geheimnisse einzudringen, die jemand nicht freigeben will. Wenn jemand Resistenz zeigt, frage nach den Ursachen, forciere aber keine Antwort. Die Grenzen des Anstands sollen nicht überschritten werden. Es sollte niemand sich unter Druck gesetzt fühlen, die Privatsphäre zu enthüllen.

Offenheit pflegen, Hinhören und Schätze heben

Viel wichtiger sind wahre Meinung zu einer Idee, oder privaten Meinungen über eigene Verfehlungen oder möglichen Verfehlungen anderer. Viel wichtiger ist die Offenheit bezüglich der eigenen Unsicherheiten und der Transparenz bezüglich des Elefanten im Raum. Und am wichtigsten ist das Üben des Zuhörens, oder besser: Des Hinhörens.

Kultur im Alltag pflegen

Mit einem Workshop ist die Arbeit natürlich nicht getan. Die Führung und Teammitglieder sollen auch im Alltag ständig daran erinnern, dass Authentizität gewollt ist. Ist, als Beispiel, ein Mitarbeiter gegenüber einer Mitarbeiterin einmal kurz angebunden, soll sich letztere gedanklich nicht tagelang quälen müssen, ob dies nun mit seinem Stress zu tun hatte, oder ob sie wohl selbst etwas falsches gemacht habe, sondern gleich nachfragen, was die Ursache der Reaktion war. Sie mag dann überrascht sein, dass die Antwort ein simples “Nur schlecht geschlafen, Entschuldigung!” war. So wird der innere Kritiker sofort ruhiggestellt. Beide Teammitglieder fühlen sich gleich wieder besser, bekommen die Chance die Interaktion und sich selbst zu reflektieren, und können ihre Beziehung nachhaltig stärken. Und dies spürt wiederrum das ganze Team.

“Die grösste Ehre, die man einem Menschen antun kann,

ist die, dass man zu ihm Vertrauen hat.”

Matthias Claudius

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